www.daniel-westphal.de ist die private Webseite von Daniel Westphal, Am Habichtsbach 11, 48329 Havixbeck.

Familienforschung

Mein Ur-Urgroßvater Hermann Kracht,

Kaufmann und Schneider (*19.10.1845 +02.01.1885)

Ausgerechnet Appelhülsen! Ist es Zufall, dass ich selbst vor über 15 Jahren mal im beschaulichen Ortsteil Nottulns gewohnt habe und sich nun im Nachhinein herausstellt, dass mehrere Linien meiner Vorfahren aus Appelhülsen stammen? Auf jeden Fall konnte ich im Rahmen meiner Familienforschung einiges über den Ort erfahren. Bekannterweise liegt Appelhülsen im westlichen Münsterland, verkehrsgünstig an der A43 zwischen Münster und dem Ruhrgebiet. Dies war schon vor über 150 Jahren ein Standortvorteil, auf den ich gleich noch näher eingehen werde. Auf der Suche nach meinen Ahnen bin ich über meine Urgroßmutter väterlicherseits - Paula Kracht (*1880 +1956) - auf die Familie Kracht aus Appelhülsen gestoßen. Aus Erzählungen meines Onkels Bernard Westphal weiß ich, dass meine Urgroßmutter als Schneiderin tätig war und „zwei bis drei Schneidergehilfen beschäftigte“. Vermutlich in Heimarbeit, wie dies im Münsterland in der Zeit um 1900 in vielen Familien üblich war. Dank der digitalisierten katholischen Kirchenbücher waren Ihre direkten Vorfahren schnell ermittelt. Und doch endet meine Recherche abrupt bei Ihrem Großvater Hermann im Jahr 1825. In einer Aufstellung zur Erstkommunion in St. Mariä Himmelfahrt von 1825 wird „Hermann Krags“ genannt (die Schreibweise des Nachnamens ändert sich erst später von Krags zu Kracht). Doch trotz intensiver Suche lässt sich nichts weiteres über seine Eltern in Erfahrung bringen. Im Heiratseintrag von Hermann Krags und seiner frisch angetrauten Gemahlin Gertrud Jöne aus Metelen vom 05.11.1842 findet sich in krakeliger Schrift ein entscheidender Hinweis: der Vater des Bräutigams sei unbekannt („pater ignotus“) und Hermann stamme vermutlich aus der Region Dülmen. Weitere Angaben liegen nicht vor, leider auch nicht zu seiner Mutter. Sein Geburtsjahr sei ungefähr auf 1815 zu datieren, da er am 07. April 1825 zur Hl. Kommunion gegangen ist. Als Trauzeuge ist übrigens Melchior Schulze Frenking eingetragen. Der Gräftenhof Schulze Frenking ist wirtschaftlicher Mittelpunkt des Ortes Appelhülsen. Am 19. Oktober 1845 kommt Sohn Hermann jun. zur Welt, mein Ur-Urgroßvater, dem dieser Beitrag eigentlich gelten soll. Aber noch kurz zu Hermann Kracht sen., denn in den Kirchenbucheinträgen finden sich berufliche Angaben, die interessant klingen. So wird er zunächst als Oelmüller bezeichnet, später dann als Postillon. Hier knüpfen Berichte aus historischen Zeitungen an, die ich über das Zeitungsportal Zeitpunkt.NRW ausfindig machen konnte. Appelhülsen hatte zu damaliger Zeit eine im Vergleich zu den Nachbargemeinden Bösensell und Buldern verkehrstechnisch bedeutendere Stellung. Die Post-Direktion unterhielt vor Ort bis zu zehn Postillone und knapp 50 Pferde, um die täglichen Verbindungen von Münster über die „Weseler Chaussee“ nach Haltern, Dorsten oder Wesel abwickeln zu können. Vor allem die Strecke von Münster bis Appelhülsen soll für die Reiter sehr herausfordernd gewesen sein, so dass Mensch und Tier strapaziert wurden und die Pferde „schweißnass“ in Appelhülsen getauscht werden mussten. Ob der rege Personenverkehr auch für die örtlichen Gasthäuser eine lohnende Einnahmequelle darstellte, bleibt zu vermuten. Hier nun wird es Zeit, über Hermann Kracht jun. zu berichten. Drei Jahre vor Ausbruch der Deutschen Revolution 1848 erblickte er im Oktober 1845 als erstgeborenes Kind der Krachts das Licht der Welt. Familie Kracht wohnte an verschiedenen Adressen in Appelhülsen, die alle der heutigen Bahnhofstrasse zugeordnet werden können. 1873 heiratete Hermann seine Frau Gertrud Bertels (*1851 +1918), Tochter des Johann Hermann Bertels, Colon an der Wellstraße No. 9 in Nottuln. Sie hatten vier Kinder, darunter mit Johannes (*1875) einen Sohn.
Bürgerschützenfest 1909 mit Johannes Kracht als Sternkönig
Blick auf meinen Stammbaum Hermann Kracht (*1845 +1885) | Paula Westphal geb. Kracht (*1880 +1956) | Karl Westphal (*1919 +1997) | Heinz Westphal (*1945 +2019) | Daniel Westphal (*1975)
Paula Kracht, circa 1952
Im zugrunde liegenden Kirchenbucheintrag wird Hermann Kracht als Kaufmann bezeichnet. Auch hier geben diverse Zeitungsannoncen aus der Zeit näheren Aufschluss über seine Tätigkeit. Im Juni 1880 eröffnet er am Bahnhof ein Kohlengeschäft. Er wirbt im Münsterischen Anzeiger damit, dass er „beste Ware auf Lager habe“. Auch hier macht sich die verkehrsgünstige Lage Appelhülsens bezahlt. Der Bahnhof wurde im Jahre 1870 eröffnet, so dass beispielsweise Schüttgüter deutlich einfacher transportiert und gehandelt werden konnten. Im März 1881 offeriert Hermann Kracht „Junge Ferkel“ der Rasse Holsteiner im Alter von 5 - 10 Wochen. Im August desselben Jahres bewirbt er mehrere Waggons mit amerikanischem Mais, die er sackweise zu billigen Preis anbieten kann. Womit man nicht alles Handel treiben kann. Zeitgleich ist Hermann Kracht auch Gastwirt. Im „neu erbauten Zelt“ findet im September 1881 „für Freunde des geselligen Vergnügens“ ein Ball statt, der musikalisch von der münster‘schen Kapelle begleitet wird. Welche Umstände dafür verantwortlich sind, dass sich die wirtschaftliche Situation derart verschlechtert, dass Hermann Kracht Ende 1881 Konkurs anmelden muss, ist mir nicht bekannt. Einer Bekanntmachung im Münsterschen Anzeiger vom 29.11.1881 ist zu entnehmen, dass im Wege einer Zwangsversteigerung u.a. „Tische, Stühle, Schränke, Spiegel, 4 Oelgemälde, sowie eine vollständige neue Bierpumpe“ veräußert werden. Von diesem Rückschlag lässt sich Hermann Kracht scheinbar nicht aufhalten, denn schon 1882 sucht er „zwei durchaus zuverlässige Schneider-Gesellen“. Ein Jahr später wirbt er in der Zeitung damit, dass er „unter günstigen Bedingungen gründlichen Unterricht im Maßnehmen und Zuschneiden in der Herren-Confektion“ anbietet. Mit nur 39 Jahren stirbt Hermann Kracht überraschend am 02. Januar 1885 in Münster im Clemens-Hospital. Laut der Sterbeurkunde ist er zu dieser Zeit wohnhaft in der Klosterstraße 60 in Münster. Nähere Umstände sind nicht bekannt. War es ein Unfall? Oder eine tödliche Krankheit? Seine Frau und die Kinder bleiben in Appelhülsen wohnhaft. Der älteste Sohn Johannes führt als Schneider den Beruf seines Vaters weiter, ebenso wie auch meine Urgroßmutter Paula Kracht. Von ihr gibt es in unserer Fotosammlung einige Aufnahmen, die sie als alte Frau zeigen. Von Hermann Kracht existieren leider keine Bilder. Das obige Titelbild - mit freundlicher Genehmigung des Bürgerschützenvereins Appelhülsen e.V. - zeigt die Bürgerschützen aus Appelhülsen im Jahr 1909 mit Johannes Kracht als Sternkönig. Sein Vater Hermann Kracht jun. wurde im Jahr 1875, und somit 100 Jahre vor meiner Geburt, Schützenkönig von Appelhülsen. In der Ahnenliste des Vereins tauchen auch die Namen C. Westphal als Schützen- (1887) und Sternkönig (1890) und Otto Westphal als Sternkönig (1911) auf. Über das Vereinsleben waren die Familien Westphal und Kracht bereits verbunden, bevor mein Urgroßvater Heinrich Westphal mit Paula Kracht 1914 eine Familie gründete.
Münsterischer Anzeiger vom 29. Mai 1875
Appelhülsen, Bahnhofstrasse (um 1907)
Münsterischer Anzeiger vom 06.08.1881
Appelhülsen, Bahnhofstrasse (im März 2023)